beA – Rückrufaktion 36 Tage vor dem Start

Berlin, 26. November 2015: Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) verschiebt den zum 1. Januar 2016 vorgesehenen Start der besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (beA). Was war geschehen und wie geht es weiter?

In den Tests der letzten Wochen habe sich gezeigt, dass die Qualität des beA noch nicht den Erwartungen der BRAK entspreche.

Daher habe das Präsidium der BRAK beschlossen, den Start des beA zu verschieben und die Postfächer für über 160.000 Anwälte erst dann zur Verfügung zu stellen, wenn sichergestellt sei, dass alle vorgesehenen Funktionen verlässlich zur Verfügung stünden.

Rückrufaktionen – keine Seltenheit

Vergleiche mit dem Automobil zeigen, dass Rückrufaktionen dort an der Tagesordnung sind. Bei diesen Rückrufaktionen sind die Fahrzeuge jedoch schon ausgeliefert und die Sicherheit der Insassen könnte gefährdet werden.

beA: Es verschiebt sich nur der Zeitpunkt der Inbetriebnahme, Kartenbestellungen sind weiterhin möglich


Am 27. November 2015 teilt die BRAK auf Ihrer beA-Internetseite mit, dass die Bestellung der beA-Karten weiterläuft. Da sich lediglich der Zeitpunkt der Inbetriebnahme, nicht aber das Sicherheitskonzept ändert, wird die beA-Karte nach wie vor für die Erstregistrierung benötigt. Eine Stornierung bereits bestellter Karten ist nicht möglich. Der Versand der bestellten beA-Karten hat in der vergangenen Woche begonnen, vgl. auch unsere Meldung vom 27. November 2015.

Eilmeldung am 26. November 2015: beA verspätet sich!

Die BRAK hat per Pressemitteilung am 26.11.2015 mitgeteilt, dass das beA später kommt:

„In den Tests der letzten Wochen hat sich gezeigt, dass die Qualität des beA noch nicht den Erwartungen der BRAK entspricht. Das Präsidium der BRAK hat deshalb beschlossen, den Start des beA zu verschieben und die Postfächer erst dann zur Verfügung zu stellen, wenn sichergestellt ist, dass alle vorgesehenen Funktionen verlässlich zur Verfügung stehen.“

Die gewaltige Herausforderung war wohl doch anspruchsvoller als erwartet. Nachdem die Schnittstellen für die Anwaltssoftwarehersteller nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden konnten, können jetzt alle aufatmen und hoffen, dass die Zeit bis zur Bekanntgabe des neuen Starttermins von den Programmierern genutzt wird, um beA so zu gestalten, dass eine einfache Handhabung in den Kanzleien gewährleistet ist. Eine Einbindung der zukünftigen Nutzer wäre sehr zu begrüßen, damit  beA zukünftig die Arbeit in den Kanzleien erleichtert.

Wir halten Sie auf der Seite www.bea-abc.de selbstverständlich auf dem Laufenden und informieren Sie, sobald es Neuigkeiten in Sachen beA gibt.

Start des beA: Aufbruch in eine neue Ära

Interview mit Dr. Wolfram Viefhues*

Ilona Cosack hat den Fachmann befragt, welche Tipps zum Start
des beA für die Anwaltschaft aus Justizsicht wichtig sind.

151029 beA – Interview mit Dr. Wolfram Viefhues

Dr. Wolfram Viefhues

Dr. Wolfram Viefhues

*Dr. Wolfram Viefhues, von 1976 bis 31. Juli 2015 Richter in Nordrhein-Westfalen,
zuletzt Aufsicht führender Richter am Amtsgericht Oberhausen. Pionier im Bereich
der EDV-Entwicklung, Gründungs- und Vorstandsmitglied des EDV-Gerichtstages,
promovierte 1993 zur „Methodik der vergleichenden Untersuchung von
Justizsoftware“.

Ilona Cosack:

Herr Dr. Viefhues, Sie sind im Bereich der Justiz Vorreiter der EDV und des Elektronischen Rechtsverkehrs. Als Pionier mit Insidererfahrung haben Sie selbst programmiert und wurden von Ihren Kollegen als „Richterjournalist“ kritisiert, weil Sie Ihren eigenen Computer mit ins Gericht nahmen.

Wo sehen Sie die Chancen des Elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) für die Justiz und auch die Anwaltschaft?

Dr. Wolfram Viefhues:

Die digitale Welt unterscheidet sich von der analogen Welt und bietet viele Vorteile. Allerdings muss man bereit sein, alte Gewohnheiten über Bord zu werfen. Das ist lästig. Unsere hergebrachten Arbeitsabläufe orientieren sich noch immer sehr stark am Papier und damit an der Bürotechnik von anno dazumal. Die moderne Technik, die wir ja gerne im privaten Bereich nutzen, bietet aber schon vielfältige neue Möglichkeiten, auch unsere berufliche Arbeit anders zu gestalten. Neue Arbeitsabläufe bieten Chancen zum Umdenken. Justiz und Anwaltschaft sollten den ERV gemeinsam angehen und miteinander reden. Der Blick auf die andere Seite hilft, die Abläufe zu verstehen; Zusammenarbeit hilft, gemeinsam Lösungen zu finden und sich die Arbeit zu erleichtern.

Ilona Cosack:

Sie haben als Herausgeber bereits drei eBroschüren im Deutschen Anwaltverlag veröffentlicht und die Zukunft des ERV skizziert. Jedes Bundesland hat hier ja seinen eigenen Zeitplan. Wie wird der ERV in der Justiz umgesetzt?

Dr. Wolfram Viefhues:

Die intensiven Diskussionen auf dem EDV-Gerichtstag bereits 2003 haben gezeigt, dass der ERV nicht isoliert bei den Gerichten eingeführt werden kann, sondern als eine übergreifende Aufgabe zu begreifen ist, die Gesetzgeber, Justiz und Anwaltschaft nur durch gemeinsame Anstrengungen bewältigen können. Wegen der vielfältigen Auswirkungen nicht nur in technischer Hinsicht, sondern speziell auf Arbeitsabläufe und Organisationsstrukturen wird diese Aufgabe alle Beteiligten noch auf lange Zeit beschäftigen. ERV ist zwar zunächst nur die rechtsverbindliche elektronische Kommunikation zwischen Verfahrensbeteiligten und den Gerichten. Die Zielrichtung geht aber weit darüber hinaus und umfasst auch die interne elektronische Sachbehandlung (den sog. Workflow), die elektronische Aktenführung bis hin zur elektronischen Archivierung.

Ilona Cosack:

In Ausgabe 3 der eBroschüre berichten Sie von Ihrem Besuch bei Rechtsanwalt Carsten R. Hoenig, der als Strafverteidiger in Berlin bereits eine elektronische Aktenführung in seiner Kanzlei eingeführt hat, obwohl ja gerade der ERV in Strafsachen wegen verschiedener Akteneinsichtsrechte und anderer Probleme erst 2024 realisiert werden soll. Welche Erkenntnisse können Sie anderen Anwälten hier mit auf den Weg geben?

Dr. Wolfram Viefhues:

Beeindruckend war, dass Rechtsanwalt Hoenig tatsächlich einen „leeren Schreibtisch“ ohne Papierakten hat.

Schreibtisch RA Carsten R. Hoenig

Foto: Dieter Kesper

Zwei Bildschirme, eine Tastatur, eine Dockingstation für den Laptop, Telefon, Lampe und Kaffeetasse – mehr nicht.

Unsere Erkenntnis war, dass Organisationsänderungen am besten im Team – also gemeinsam von Anwalt und Mitarbeitern – angegangen wird. Die Kreativität und die Ideen der Mitarbeiterinnen sollte man nicht ungenutzt lassen.

Als besonderer „Flaschenhals“ stellt sich offenbar das Einscannen von Papier-dokumenten heraus. Hierbei muss dafür Sorge getragen werden, dass beim Einscannen einheitliche Regeln festgelegt werden, wie das Dokument benannt wird. Andernfalls geht sehr schnell die Übersicht verloren. Klar geregelt werden muss bei der elektronischen Mandantenakte auch, was zur Veröffentlichung, d.h. zur Kenntnis des Mandanten freigegeben wird.

Auch bei diesen Organisationsänderungen ist es wie in der Fahrschule: Man muss üben, um Routine zu bekommen. Daher sollte man so früh wie möglich damit anfangen.

Ilona Cosack:

Ähnlich wie bei der Justizsoftware sind auch bei Anwaltskanzleien unterschiedliche Softwareprogramme im Einsatz. Die Schnittstelle zum beA wird im Laufe des Jahres 2016 zur Verfügung gestellt. Warum sollte eine Anwaltskanzlei schon zu Beginn des Jahres 2016 anfangen, sich mit dem beA vertraut zu machen?

Dr. Wolfram Viefhues:

Gegenfrage: Warum nicht? Auch wenn die Anwaltssoftware das beA nicht bereits ab 1.1.2016 unterstützt, kann man mit dem beA der BRAK doch schon mal anfangen, sich mit der Technik vertraut machen und die Abläufe kennenlernen, anpassen und üben.

Man sollte sich nicht mit unnötigen Abwehrkämpfen verzetteln. Wer gegen das beA zu Felde ziehen will, mag den Weg bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Er mag auch das Risiko eingehen, den Blick in sein beA zu verweigern. Mag sein, dass ihm der Haftungssenat des BGH dann in einigen Jahren Recht geben wird. Es kann aber auch sein, dass die Sache anders ausgeht.

Viel einfacher ist es doch, jeden Tag einmal in das beA zu schauen, ob Post eingegangen ist.

Ilona Cosack:

Aufgrund des „Flickenteppichs“ in den einzelnen Bundesländern befürchten viele Anwälte ein erhöhtes Haftungsrisiko. Wie sollte die Anwaltschaft hier vorbeugen?

Dr. Wolfram Viefhues:

Zunächst muss ja nur empfangen werden, das ist nicht unzumutbar und beinhaltet kein Risiko aufgrund des Flickenteppichs. Beim Senden muss man aufpassen, aber das ist nicht anders als auch beim Fax. Dort muss ja auch gewährleistet sein, dass man die richtige Nummer des Gerichts auswählt. Wichtig ist bei der Organisation des Sendens, dass geklärt wird, wann man qualifiziert elektronisch signieren muss und wann nicht.

Ilona Cosack:

Schon 1994 haben Sie ein Buch „Winword für Juristen“ im Beck-Verlag veröffentlicht. Wie nutzen Sie die EDV für Ihre vielfältigen Aufgaben? Arbeiten Sie vollständig elektronisch oder gibt es auch bei Ihnen noch Papier?

Dr. Wolfram Viefhues:

Es ist auch bei mir ein Gewöhnungsprozess. Am Anfang habe ich auch alles ausgedruckt zum Korrigieren. Dann stellt man fest, dass man nach zwei Seiten Lesen auf Papier doch die Fehler gleich am Bildschirm korriert und dann nur noch auf dem Bildschirm weiter liest. Leider sieht sieht man den Fehler in jedem Fall manchmal erst, wenn das Schreiben schon weg ist.

Ilona Cosack:

Welche Tipps können Sie denjenigen geben, denen der Umstieg vom Papier auf die elektronische Akte schwerfällt?

Dr. Wolfram Viefhues:

Die elektronische Akte bietet viele Vorteile, die das Papier nicht hat. Man kann nach Stichworten suchen und genau wie bei Papier mit Markierungen und Klebezetteln arbeiten. Vor allem für die vergleichende Darstellung von Argumenten der Kläger- und Beklagtenseite ist die elektronische Akte hilfreich.

Auch das muss man lernen und üben; das klappt nicht von Anfang an. Aber das ist wie beim Anfänger, der eine dicke Akte vorgelegt bekommt: Er liest die Akte von vorne bis hinten. Der erfahrene Praktiker schaut erst mal die letzte Seite an: Vielleicht kann dann die Akte schon abgelegt werden!

Ilona Cosack:

Was sind die nächsten Schritte, die Sie Anwälten in den nächsten knapp zwei Monaten bis zum 1.1.2016 empfehlen?

Dr. Wolfram Viefhues:

Fangen Sie jetzt an. Lösen Sie sich von alten Abläufen und sind Sie aufgeschlossen für Veränderungen. Machen Sie sich mit der neuen Technik vertraut. Beziehen Sie Ihre Mitarbeiter ein. Legen Sie fest, wer und wie im Vertretungsfall auf Ihr beA zugreifen soll. Die beA-Signatur-Karte wird in Zukunft Ihre Unterschrift ersetzen, denn wer aus dem beA versendet, versendet ab 1.1.2018 rechtsverbindlich. Daher: Geben Sie „Ihre Unterschriftshand“ nicht weg.

Ilona Cosack:

Herr Dr. Viefhues, herzlichen Dank für Ihren Input. Wir freuen uns schon auf die nächsten eBroschüren und danken Ihnen für Ihre fachkundige Einschätzung. Gerne greifen wir Ihren Optimismus auf und hoffen, dass viele Anwälte Ihrer Empfehlung folgen.