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Anwälte, BRAK und Justiz im Dialog: Ausblick auf das Anwaltspostfach beAplus

„Großes entsteht immer im Kleinen.“

Die Saarländische Landesvertretung in Berlin war Gastgeber des beAplus-Symposiums des Deutschen EDV-Gerichtstages e.V.

Der @edvgt lud alle Beteiligten und Interessierten zum Symposium in die Saarländische Landesvertretung nach Berlin ein.

Unter dem Motto: „Brauchen wir das beA+ mit besserer Software und optimierter Ausrichtung auf den Kanzleialltag?“ blickten die Referenten und zahlreiche Teilnehmer in die Zukunft.

Der Vorsitzende des EDVGT, Rechtsanwalt Prof. Ory, fasste die Sicherheitsdiskussionen zum aktuellen Anwaltspostfach beA zusammen: „Das beA (+) ist (nicht) sicher“ – „Verschlüsselung Ende-zu-Ende – gibt es doch (nicht)“ mit einem treffenden Vergleich: „Ein Dokument ist im beA durchgehend verschlüsselt…aber bei der BRAK gibt es einen Mister Minit“.

Die Vertreter der BRAK waren dabei

Im Gegensatz zu allen bisherigen Veranstaltungen, die seit dem „beAGate“ stattgefunden haben, war die BRAK hochkarätig vertreten: Vizepräsident, Dr. Martin Abend, Geschäftsführerin Julia von Seltmann und IT-Referent Hannes Müller waren anwesend und auch in den Pausen und nach der Veranstaltung zu Gesprächen bereit.

Dr. Abend informierte über den aktuellen Stand: Die secunet Security networks AG wird Ende März die ersten Ergebnisse des Gutachtens bekanntgeben. Mit einer angemessenen Vorlaufzeit, Dr. Abend sprach hier von „mindestens zwei Wochen“, soll dann das beA wieder ans Netz gehen. Zum Kanzleipostfach wäre es möglich, zumindest RA-Kapitalgesellschaften ins Register aufzunehmen, damit diese ein eigenes beA bekämen.

Dr. Abend stellte auch die Frage, wie viel die Anwaltschaft zukünftig für ein beAplus investieren will?

Auch der DAV war vertreten

Auch der DAV war durch seine Fachleute vertreten: Rechtsanwalt und Notar Ulrich Volk, Pionier des Elektronischen Rechtsverkehrs, und Mitglied des Ausschusses Elektronischer Rechtsverkehr des DAV sowie der Vorsitzende, Rechtsanwalt Martin Schafhausen, der es sich sich nicht nehmen ließ, nach einem Gerichtstermin noch in der Landesvertretung vorbeizuschauen. Für die DAV-Geschäftführung war Rechtsanwältin Ina Kitzmann dabei und auch Sebastian Reiling für die Digitale Anwaltschaft war mit von der Partie.

RAuN Volk zeigte in seinem Statement auf, wie weit Theorie und Wirklichkeit auseinanderklaffen: Die digitale Post an unterschiedliche Gerichte in Deutschland ist noch unerwünscht: Das Ausdrucken sprengt das Budget. Ein Richter dazu: „…dann kann ich mir keinen Palandt mehr anschaffen. Am besten, Sie schicken ein Fax.“ Ein Dilemma für den Anwalt, der elektronisch einreichen will, andererseits sich den Richter nicht zum Feind machen will. Die Einbindung der Mitarbeiter ist das A und O. Und auch die eigenen Gerichte sollte man einbeziehen: Wie kommt das, was man sendet, dort an? Umgekehrt: Wenn das Gericht etwas sendet, wie kommt das in der Kanzlei an? So erhalten beide Seiten Verständnis für die Situation des anderen und können sich langsam auf einander zu bewegen.

Markus Drenger gab seinen Wunschzettel bekannt

Markus Drenger, der Experte vom Chaos Computer Club Darmstadt e.V., gab einen Ausblick „was noch auf dem Zettel für ein beAplus steht“: Ende-zu-Ende-Protokoll, offene API, quelloffen, nah an verbreiteten Standards, Standard-Client soll mobilfähig und benutzerfreundlich sein. Mit dem Stichwort „security-by-design“ sollte die Sicherheit von Anfang an in der Architektur und ganzheitlich betrachtet, rechtliche Vorgaben für IT-Verfahren sollten durch Experten (z.B. BSI) entwickelt werden. Wenn Akten und Workflows in der Justiz digital sind: maschinenlesbare Justiz und Open Data. Reform PKH / Verurteilungsstatistiken: Verlaufsstatistiken (Polizei-StA-Gericht), Performance-Indikatoren, eAnhörungen, Rechtsprechungsdatenbanken, automatisierbare Verfahren (Knöllchenbot), Anordnungsregister, maschinenlesbare Anordnungen…

Diese Wunschliste wird wohl erst im Kleinen groß werden…

Professor Sorge und die Definition von „sicher“

Professor Christoph Sorge, Inhaber der juris-Stiftungsprofessur für Rechtsinformatik der Universität des Saarlandes, Vorstandsmitglied des EDV-Gerichtstages, zeigte das Sicherheits- und Risikomanagement im Elektronischen Rechtsverkehr auf. Er fragte: „Was verstehen wir eigentlich unter sicher?“ Sicherheit als Funktionssicherheit (engl. safety): System tut, was es soll, auch unter zufällig eintretenden, widrigen Bedingungen oder Sicherheit als Informationssicherheit (engl. security): System widersteht auch intelligenten Angreifern und gibt insbesondere keine Informationen preis, die es nicht preisgeben sollte. „Wie sicher ist sicher?“

Prof. Sorge hat mit seinen Studenten einige Szenarien durchgesprochen:

Ist Sicherheit erreicht, wenn…
… die Kosten für den Angreifer so hoch werden, dass der Angriff sich nicht lohnt?
>Woher kennen Sie die Kosten für den Angreifer?
>Wieso sollte der Angreifer sich rational verhalten?

…der erwartete Schaden (berechnet aus Schadenhöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit) niedrig genug ist?
>Woher kennen Sie die Eintrittswahrscheinlichkeit?

Bestandteil eines Managementsystems für Informationssicherheit nach dem BSI-Standard:
Ist jeder einzelne Mitarbeiter in Ihrer Kanzlei mit der IT-Sicherheit befasst?
Sein Beispiel: Die Putzhilfe öffnet dem (vermeintlichen) Heizungsmonteur die Kanzleitür.

Offene Fragen:
Wer führt die Abwägung zwischen Kosten und Nutzen von IT-Sicherheitsmaßnahmen durch?
Wie detalliert sollte Sicherheitsmanagement durch Gesetz- und Verordnungsgeber geregelt werden?
Diverse Vorgaben für das beA in der RAVPV; Zu viel?; Zu wenig?; Sind die bestehenden Regelungen „richtig“?; Wie erfolgt die Rückkopplung?
Vorbildcharakter der eIDAS-Verordnung?

Welche Folgerungen ergeben sich für das beAplus?
Vertrauen in IT-Sicherheit benötigt Offenheit
– in Bezug auf Sicherheitsarchitekturen und -protokolle (!)
– in Bezug auf Details der Umsetzung und Quellcode (?)
– in Bezug auf entdeckte Sicherheitslücken (wann?)
Kryptographie (>Ende-zu-Ende-Verschlüsselung) als Königsweg, aber nicht einziger Weg

Professor Armknecht und Alternativen zum „HSM“

Professor Frederik Armknecht, Lehrstuhl Praktische Informatik der Universität Mannheim,  stellte die Ziele seines Vortrags an den Anfang:

– Kryptografische Funktionalitäten des HSM (Hardware Security Module)
– Vorstellung und Besprechung möglicher Alternativen
– Diskussionsgrundlage

Keine Ziele des Vortrags:
– Kritik am beA
– konkrete Alternativvorschläge

Anhand von anschaulichen Grafiken stellte er die symmetrische und die asymmetrische Verschlüsselung dar, erklärte die hybride Verschlüsselung und die Rolle des HSM beim beA. Auch das Umverschlüsselungsszenario und das Szenario der Proxy Re-Encryption erläuterte Prof. Armknecht anhand von Grafiken. Er zeigte mögliche kryptografische Alternativen wie Proxy Re-Encryption, Secret Sharing oder Zertifikate auf. Alle Ansätze haben unterschiedliche Vor- und Nachteile, kommen allesamt ohne HSM aus. Falls beA grundlegend überarbeitet wird, sollten diese in Betracht gezogen werden.

eIDAS-Vertrauensdienste als neue Standardverfahren

Matthias Matuschka, Direktor Öffentliche Verwaltng der Bundesdruckerei GmbH und Dr. Kim Nguyen, Geschäftsführer D-Trust GmbH und Fellow, stellten die Vertrauensdienste gemäß eIDAS vor, und als Alternative zu Smartcard und Kartenlesegerät die Möglichkeit der Fernsignatur anhand der Lösung sign-me.

De-Mail: Eine Alternative zu beA (+)?

Leslie Romeo, Head of De-Mail & Trust Services bei 1&1, warb für den Einsatz von De-Mail als Übergangslösung oder Ergänzung zum beA. Allerdings kann z.B. das elektronische Empfangsbekenntnis nicht mit De-Mail dargestellt werden.

Anforderungen an ein beA+ aus der anwaltlichen Praxis

Rechtsanwältin Sabine Ecker, Leitende Beraterin Anwaltsmarkt DATEV eG und Vorsitzende des Software-Industrieverbandes Elektronischer Rechtsverkehr (SIV-ERV) brachte die Forderungen aus Sicht der Praxis und der Anwaltssoftwarehersteller auf den Punkt:

  • Technik und Recht müssen den Anforderungen des anwaltlichen Workflows entsprechen
  • Die Arbeitsteilung zwischen Anwalt und ReFa darf nicht gestört werden
  • Ein Kanzleipostfach muss her !
  • beA+ muss nicht nur WTS-fähig sein, beA+ muss alle gängigen Systeme unterstützen
  • beA+ muss mobil anwendbar sein
  • Keine Mengenbegrenzung für Anlagen oder Heraufladen auf den Server der Justiz/Verwaltung ermöglichen

EGVP-Komponenten im Lichte der Sicherheitsdiskussion

Johannes Kühn, Ministerium der Justiz und für Europa Baden-Württemberg, Vorsitz der Bund-Länder-Kommission (BLK) Arbeitsgruppe IT-Standards in der Justiz, beleuchtete die EGVP-Infrastruktur und die Grundlage des Secure Access to Federate eGovernment / eJustice (SAFE). Seit 2011 nutzen 150.000 Gerichte, Rechtsanwälte, Notare, Gerichtsvollzieher, Bürger, Firmen, Kommunen, der Zoll, die Finanzverwaltung und Verwaltungsbehörden das egvp, das Zentrale Testamentsregister, das Vollstreckungsportal und die Vollstreckungsgerichte der Länder, das Zentrale Schutzschriftenregister (ZSSR), Akteneinsichtsportal, Grundbuch …

Der Elektronische Rechtsverkehr nutzt offene technische Standards. Herr Kühn wies darauf hin, dass die EGVP-Infrastruktur der Justiz von der beA-Schwachstelle nicht betroffen ist. Gleichwohl wurde eine von Herrn Drenger entdeckte Schwachstelle beim EGVP-Installer direkt geschlossen. Bei EGVP-Nachrichten ergibt sich die Authentizität einer Person aus der qualifizierten elektronischen Signatur. Die Bezeichnung des Postfachs diene nicht zur Authentifizierung des Absenders. Der bereits abgekündigte EGVP-Client werde weiterhin gepflegt und aktualisiert. Im Mai 2018 wird die BLK über den EGVP-Classic-Client entscheiden.

Blick in die Zukunft – beA ist doch erst der Anfang

Dr. Ralf Köbler, Präsident des Landgerichts Darmstadt, Vorstandsmitglied des EDVGT, warf einen Blick in die Glaskugel 2030 mit der These „Elektronischer Rechtsverkehr und die bisherigen Ansätze zur E-Akte schöpfen die dem Rechtswesen nützlichen Möglichkeiten moderner Informationstechnik nicht aus“.

In Dänemark könne man Klagen nur noch elektronisch einreichen.

Er plädierte dafür, die digitale Postkutsche abzuschaffen und einen gemeinsamen Datenraum für Parteien und Gericht zu schaffen. Dateien sollen up- und downgeloadet werden, kein Versand mehr erforderlich sein. Eine jederzeitig Akteneinsicht wäre möglich, die Akte immer verfügbar und vollständig. Allerdings müsste dann das Problem der gesicherten Netze der Länder gelöst werden: IT-Sicherheit als wesentliches Problem unserer Zeit.

Über Push-Dienste könnten Mitteilungen über Termine, Veränderungen und wesentliches Geschehen im Verfahren auf das mobile device erfolgen; gleichzeitig die automatische Eintragung dieser Informationen in den Anwaltskalender; Entscheidungsbenachrichtigung mit Tenor würde zu einer erheblichen Entlastung des Gerichtspersonals führen. Eine automatisierte Erstellung der Gerichtskostenrechnung und ePayment aller Art zur Bezahlung. Elektronische Terminsanzeigen und Gerichtstafeln im Internet und im Gericht.

Mobiles Arbeiten müsse möglich sein. Ein mobiler Zugriff auf alle Verfahrensdaten und Dokumente, verschlüsseltes WLAN in allen Gerichten, für Richter und Anwälte nutzbar, Internetzugänge für Anwälte und Publikum.

Videoconferencing soll vom Rechner am Richtertisch aus möglich sein, Gutachtenerläuterung grundsätzlich per Video und Umkehr des heutigen Verhandlungsgrundsatzes: grundsätzlich Video, falls kein schriftliches Verfahren möglich ist, nur ausnahmsweise mündliche Verhandlung, wenn persönliche Anwesenheit zwingend ist. Vernehmung behördlicher Zeugen, insbesondere Polizeibeamte, auch im Strafprozess grundsätzlich per Video.

Dr. Köbler wünscht sich etwas, das „Anwälte gar nicht mögen“: Strukturierter Parteivortrag als Norm. Kläger und Beklagter tragen in das gleiche digitale Dokument ein, geordnet nach den Tatbestandsmerkmalen der ausgewählten Anspruchsgrundlage; alternativ: Lebenslagenprinzip, z.B. der Verkehrsunfall, die Wohnraumkündigung, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Es gäbe eine Spalte für die richterliche Bewertung. Für Beweisantritte sei eine Spezialsoftware erforderlich, die bereits im Teststadium sei. Ein herkömmliches Klageverfahren mit „getrennten“ Schriftsätzen sei ausnahmsweise möglich, würde aber höhere Kosten verursachen.

Er geht davon aus, dass zukünftig die Künstliche Intelligenz (KI) auch in der Justiz Einzug hält. Eine systematische Analyse der Sachverhalte zu Entscheidungen und Zuordnung zu den fall- und lösungsrelevanten Rechtsfragen. Der Anwalt könne den Fall – idealerweise in der vom Mandanten bereits aufbereiten Form – eingeben und erhalte direkt einen Vorschlag zur Sachbehandlung und erster Korrespondenz sowie automatisierter (anpassbarer) Entwurf der Klageschrift. Das Gericht erhalte mit Hilfe der KI einen automatisierten Vorschlag des prozessualen Vorgehens und Entwurf einer Entscheidung auf der Grundlage des strukturierten Parteivortrags.

Dr. Köbler verwies auf den bereits eingetreten Wandel des Anwaltsmarktes durch Legal Tech. Legal Tech sichere den Zugang zum Recht in Fällen mit niedrigen Streitwerten in einer Spezialmaterie, deren Einarbeitung nicht wirtschaftlich ist (Flugverspätung, Zugverspätung, Mietpreiserhöhung, Bußgeldportale). Seine These: es erfolge eine Konzentration der vielen individuell operierenden Startups zu wenigen großen digitalen Rechtsanbietern mit automatisierten Verfahren, aber auch mit „echten“ Anwälten.

Als Empfehlung sprach Dr. Köbler sich dafür aus, mit Bedacht und Sensibilität weiterzumachen und die Zukunft mitzugestalten. Als Justiz und als Anwaltschaft.

Diskussion mit den Referenten und Teilnehmern

Jörn Erbguth, Legal Tech Consultant, Genf, Vorstandsmitglied des EDVGT und auch Teilnehmer des #beAthon, leitete die Diskussion vor der Mittagspause und zum Abschluss der Veranstaltung. Ein blinder Rechtsanwalt wies darauf hin, dass die Client Security nicht barrierefrei sei. Dr. Abend nahm in der Diskussion Stellung: „wir nehmen die Kritik an“ und stellte auch die Frage, mit wem beAplus fortentwickelt werden könne.

Fazit:

Die Diskussion wird auf dem nächsten EDV-Gerichtstag, der vom 19. bis 21. September 2018 in Saarbrücken stattfindet, fortgesetzt. Der geschäftsführende Vorstand und die weiteren Vorstandsmitglieder sind allesamt ausgewiesene EDV-Experten und Juristen. Praktiker wie Dr. Thomas Lapp, der auch in der Arbeitsgemeinschaft IT-Recht des DAV im geschäftsführenden Ausschuss aktiv ist, stehen für einen praxisgerechten Austausch bereit, damit das beAplus zukünftig die Arbeit in den Kanzleien erleichtert.

Die Präsentationen der Referenten stehen auf der Homepage des EDVGT zum Download.

 

 

 

Anwaltspostfach beA – Bestandsaufnahme und Ausblick

Anwaltspostfach beA – Bestandsaufnahme und Ausblick

Ein Bericht von Rechtsanwältin Katrin Kirchert, L.L.M

Rechtsanwältin Katrin Kirchert, L.L.M

DAV-Veranstaltung in Berlin

Auf den Tag genau einen Monat, nachdem die BRAK die beA-Webanwendung wegen massiver Probleme vom Netz nehmen musste, trafen sich am 22. Januar 2018 zahlreiche Anwältinnen und Anwälte, IT-Experten und weitere Interessierte bei einer Veranstaltung des DAV in Berlin, um über die Zukunft des beA zu diskutieren.

Bei seiner Begrüßung war Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg, der Präsident des Deutschen AnwaltVereins, sehr offen und ehrlich: Er sagte, dass er auch nicht wisse, wie es mit dem beA weitergeht, aber er hoffe, dass dies am Ende der Veranstaltung anders sein wird. Da der DAV aufgrund der zahlreichen Anmeldungen bereits kurz nach Bekanntgabe der Veranstaltung eine Warteliste eröffnen und Absagen verschicken musste, wurden die Vorträge sowie die anschließende Podiumsdiskussion via Livestream übertragen. Im Schnitt gab es etwa 500 Zugriffe pro Stunde, so dass diese erstmalige Live-Übertragung einer DAV-Veranstaltung wohl sicher nicht die letzte bleiben wird. Und möglicherweise haben auch Vertreter der BRAK diese Möglichkeit genutzt, denn die BRAK hatte eine Teilnahme an der Veranstaltung abgelehnt und lediglich auf die Pressemitteilungen der vergangenen Wochen verwiesen.


Markus Drenger berichtet über seine Entdeckungen

Herr Schellenberg dankte Markus Drenger vom Chaos Darmstadt e.V. ausdrücklich für die Aufdeckung der diversen Schwachstellen des beA und für seine Bereitschaft, bei dieser und zahlreichen anderen Veranstaltungen über die technischen Hintergründe zu referieren. Seit Bekanntwerden dieser Schwachstellen seien eine Vielzahl von Anrufen, Mails und Briefen beim DAV und der BRAK eingegangen. Zudem gab es ein erhebliches Medienecho, bei dem der Begriff „Postfach-Pleite“ noch eine der netteren Formulierungen war.

Als erster Referent erläuterte Drenger dann zunächst die technische Architektur des beA und stellte anschließend seine Funde vor. Bei den von ihm entdeckten Schwachstellen handle es sich vor allem um erhebliche Sicherheitslücken im Webserver und die potentiell angreifbare Clientsoftware, die die Sicherheit des Anwalts-PC gefährden, sowie die unvollkommene Umsetzung der durch den Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht gesetzten Vorgaben, z. B. die fehlende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.

Er wies explizit darauf hin, dass dies höchstwahrscheinlich nicht alle Probleme sind, an denen das System krankt. Da ihm jedoch die Einsicht in den Quellcode und in die Vereinbarungen der BRAK mit Atos (Verträge, Lasten- und Pflichtenhefte, Mängel- und Fehlerlisten etc.) trotz einer Anfrage nach dem IFG verweigert wurde, konnte er keine weitergehende Prüfung oder gar ein Audit durchführen.

Zum Ende seines Vortrags sprach Markus Drenger zwei grundsätzliche Empfehlungen aus:

Seine Empfehlung an die BRAK und die Anwaltschaft lautete, das gesamte System vor einem Neustart einem gründlichen Testverfahren zu unterziehen, um sicherzugehen, dass alle Sicherheitslücken geschlossen wurden.

beA-Client-Security aus dem Autostart entfernen

Seine Empfehlung an die einzelnen Betroffenen lautete, die beA-Client-Security-Software nicht mehr zu verwenden und den entsprechenden Eintrag aus dem Autostart-Menü des Anwalts-PCs zu entfernen, bis ein umfassendes Sicherheits-Update zur Verfügung gestellt wird.

Das am 22. Dezember 2017 von der BRAK veröffentlichte root-Zertifikat stellt nach Meinung von Herrn Drenger einen „sicherheitstechnischen Alptraum“ dar und sollte daher sofort deinstalliert werden, falls noch nicht geschehen.


Martin Schafhausen beleuchtet die rechtliche Seite

Im Anschluss an den gelungenen Überblick über die technischen Aspekte folgte ein Beitrag von Rechtsanwalt Martin Schafhausen aus Frankfurt am Main, Vorsitzender des Ausschusses Elektronischer Rechtsverkehr des DAV, über anwaltliche Pflichten und mögliche Haftungsrisiken rund um das beA.

Zu den seit Anfang des Jahres bestehenden Pflichten eines jeden Mitglieds der Anwaltschaft gehört nach § 31a Abs. 6 BRAO die Sicherstellung der Empfangsbereitschaft durch das Bereithalten der beA-Karte und eines geeigneten Lesegeräts. Herr Schafhausen betonte aber, dass diese Pflicht nicht dazu führt, eine Gefährdung der eigenen EDV-Infrastruktur dulden zu müssen. Eine Verpflichtung zur Abholung von Nachrichten aus dem beA gebe es daher seit dem 22. Dezember 2017 nicht mehr. Sollten sich nun rechtliche Nachteile durch Fristabläufe o. ä. ergeben, dürfte dies über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu heilen sein. Eine Verpflichtung zur vorübergehenden Einrichtung eines benutzerauthentifizierten De-Mail-Kontos entsprechend § 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO als „Ersatz“ für das beA schloss Herr Schafhausen unter Verweis auf die Gesetzesbegründung der Norm aus.

beA- und EGVP-Newsletter abonnieren

Um über die weitere Entwicklung in Sachen beA und den neuen Starttermin informiert zu bleiben, empfahl er den Betroffenen dringend, den beA-Newsletter der BRAK und den EGVP-Newsletter zu abonnieren, auch wenn dazu bisher keine gesetzliche Verpflichtung bestehe.


Podiumsdiskussion

Nach einer kurzen Pause, die für weitere Fragen an die Referenten und für angeregte Gespräche unter den Teilnehmenden genutzt wurde, ging es dann mit einer Diskussionsrunde weiter. Auf dem Podium saßen neben Markus Drenger und Martin Schafhausen Rechtsanwältin Nina Diercks aus Hamburg, Rechtsanwalt Prof. Dr. Peter Bräutigam aus München und Ralph Vonderstein aus Köln.

Nina Diercks, die neben ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin auch anerkannte Sachverständige für IT-Produkte beim Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein ist, legte bei ihrem Eingangsstatement ihr Augenmerk auf die Frage, ob die BRAK von den Sicherheitslücken wusste: Falls ja, weshalb gab es keine frühzeitige Information der Betroffenen? Falls nein, warum nicht? Die BRAK als Auftraggeberin hätte die Arbeit des Hersteller Atos doch vor einer Abnahme umfassend prüfen müssen, spätestens hierbei müssten diese Probleme aufgefallen sein. Auf einen entsprechenden Brief, den sie am 7. Januar 2018 an die BRAK geschickt hat, gab es bislang keinerlei Antwort. Ihrer Kenntnis nach haben Entwickler von Atos bereits vor Jahren Sicherheitslücken an ihren Arbeitsgeber gemeldet, konnten dies jedoch wegen NDAs und dem Risiko der persönlichen Haftung bisher nicht öffentlich machen.

Peter Bräutigam, Schatzmeister des geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft IT-Recht im DAV, wies in seinem Statement als erstes darauf hin, dass alle Betroffenen „in einem Boot sitzen“ und alle zusammen nun „die Kuh vom Eis bekommen müssen“.

Er bot der BRAK sodann konkrete Hilfe an: Die Arbeitsgemeinschaft entsende gern Kollegen und Kolleginnen als Sachverständige, die die BRAK im Rahmen eines unabhängigen Fachbeirates bei der Prüfung der beA-Software und der dazugehörigen Verträge und Absprachen unterstützen. Voraussetzung hierfür sei aber Transparenz und Offenheit seitens der BRAK. Auch die öffentliche Vermischung von Fehlerkultur und Pressearbeit müsse aufhören.

Als dritter Redner brachte Ralph Vonderstein, Leiter des Geschäftsbereichs Legal Software bei Wolters Kluwer, den bislang vernachlässigten Aspekt des Datenschutzes ein. Viele Anwältinnen und Anwälte würden sich bisher kaum Gedanken über Dinge wie das regelmäßige Installieren von Sicherheits-Updates und die Risiken unverschlüsselter Kommunikation machen. Ihm zufolge seien daher Cloud-Lösungen wesentlich sicherer als die EDV-Strukturen in den meisten Kanzleien.

Vonderstein wies in seinem Statement außerdem darauf hin, dass sich zumindest die Sicherheitsprobleme bei der Web-Anwendung durch den Einsatz einer Kanzleisoftware mit integrierter beA-Schnittstelle lösen lassen. Auf Nachfrage von Frau Diercks und des Publikums stellte er klar, dass es auch eine Stand-Alone-Lösung für Windows und MacOS geben wird, die unabhängig von einer Kanzleisoftware genutzt werden kann.

 Martin Schafhausen griff das Problem der unverschlüsselten Kommunikation wenig später noch einmal auf. Es schicke kein Anwalt Postkarten an seine Mandanten, warum dann also unverschlüsselte Mails? Die anwaltliche Verschwiegenheitsverpflichtung muss sich auch im elektronischen Rechtsverkehr fortsetzen, daher sei eine verschlüsselte Kommunikation mit den Mandanten unbedingt notwendig.

Bei dieser Gelegenheit kritisierte Markus Drenger, dass in Deutschland statt einer skalierbaren Gesamtlösung zur Sicherstellung der vertraulichen Kommunikation für alle beteiligten Gruppen immer wieder Nischenanwendungen bzw. Insellösungen für einzelne Berufsgruppen und Behörden geschaffen wurden, die untereinander nicht oder nur wenig kompatibel seien.

Peter Bräutigam ergänzte diesen Punkt, indem er darauf hinwies, dass die Kommunikation früher per Telefon, Telefax und Brief auch ohne eigene exklusive Infrastruktur funktioniert hat und sie damit durch ihre Dezentralität bei weitem nicht so fehleranfällig war wie das beA. Nina Diercks betonte noch einmal, dass beim HSM-Modul des beA alle Nachrichten zentral zusammenlaufen und sie daher die Vereinbarkeit des beA mit Datenschutz- und IT-Sicherheitsstandards für sehr zweifelhaft hält.


beAthon als nächster Schritt

Ob das jetzige beA irreparabel ist, müssten unabhängige Tester ergebnisoffen herausfinden. Eine gute Gelegenheit hierfür wäre eigentlich der beAthon am 26. Januar 2018, jedoch sei dieser Termin wohl eher als Pressevorführung der neuen Version und nicht für die Überprüfung der Software geplant worden. Und selbst wenn der beAthon als Gelegenheit zum Testen genutzt wird, sei ein einziger Nachmittag in keinem Fall ausreichend, um das beA „zum Laufen zu bringen“. Es seien verschiedene Testverfahren nötig, wie zum Beispiel ein Test unter Volllast (Stresstest) und ein sogenannter White-Box-Test, bevor das beA wieder in Betrieb genommen werden könne.


Kernforderungen der Anwaltschaft

Im weiteren Verlauf der Diskussion kristallisierten sich einige Kernforderungen der Anwaltschaft an die BRAK heraus: Transparenz und offene Kommunikation seitens der BRAK und ihrer Dienstleister, die dauerhafte Unterstützung der BRAK durch einen technisch versierten und unabhängigen Fachbeirat, eine regelmäßige unabhängige Begutachtung des beA in der Zukunft (und über einen einzelnen beAthon hinaus), ein verbessertes Projektmanagement und eine echte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.

Ministerialdirektorin Marie Louise Graf-Schlicker, Leiterin der Abteilung Rechtspflege im BMJV, die im Publikum anwesend war, sprach sich ebenfalls dafür aus, schnell zu ermitteln, was nun notwendig ist, damit das beA unter den gesetzlichen Voraussetzungen zügig an den Start gehen kann, welche Fehler vorliegen und wie diese beseitigt werden können.

Weitere Wünsche der Diskussionsteilnehmer waren die Einrichtung eines Kanzleipostfachs, einer automatischen Abwesenheitsanzeige bereits beim Eingeben einer Mailadresse und die Möglichkeit der übergreifenden Authentifizierung in allen EGVP-Anwendungen, um den Nachteil der bereits angesprochenen Insellösungen etwas auszugleichen.

Beim dann folgenden Schlusswort fasste DAV-Präsident Schellenberg die gewonnenen Erkenntnisse wie folgt zusammen: „Es gibt viel zu tun, packen wir es an!“. Er wies außerdem noch einmal darauf hin, dass Markus Drenger für den beA und die Anwaltschaft gearbeitet hat und keinesfalls dagegen (wie ihm Ende letzten Jahres auch durch die BRAK mehrfach vorgeworfen wurde).

Ulrich Schellenberg dankte Herrn Drenger zusammen mit allen Anwesenden deshalb noch einmal ganz herzlich für seine ehrenamtlichen Tätigkeiten und stellte abschließend fest, dass ab jetzt eine Kultur der offenen Kommunikation nötig sei, von der es keinen Weg mehr zurück gebe.

Moderiert wurde der äußerst informative Nachmittag von Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, der Leiter der Redaktion des Anwaltsblatts ist. Den dort erschienen Artikel zur Veranstaltung finden Sie hier.

 

 

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