Ab 1. August 2024: Bundesverfassungsgericht nimmt am Elektronischen Rechtsverkehr teil

Sendepflicht für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte

Bislang war das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) noch außen vor, wenn es um den Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) ging.

Rechtsanwälte mussten entweder das Fax bemühen oder per Boten / Nachtbriefkasten die in der Regel sehr umfangreichen Schriftsätze einreichen. Eine Meldung bei beck-aktuell vom 3. Januar 2022 verglich das BVerfG noch mit dem „gallischen Dorf“. Auch eine Einreichung per DE-Mail war nicht zulässig. Nun ist die „Autobahn“ auch für das BVerfG freigegeben;-)

Bürgerinnen und Bürger können ihre Verfassungsbeschwerde elektronisch einreichen (z.B. über das MJP), sind dazu jedoch nicht verpflichtet.

Für Anwälte gilt: Es besteht eine Nutzungspflicht, eine Einreichung auf anderem Weg ist ab dem 1.8.2024 nicht mehr rechtswirksam möglich. Speichern Sie bei häufiger Nutzung das BVerfG in Ihrem beA-Adressbuch oder geben Sie direkt die SAFE-ID im Empfängerfeld ein:

DE.Justiz.7d4147c6-325e-40a5-84d7-20619a1a65fc.4ca0

Achten Sie darauf, dass auch beim Feld für den Strukturdatensatz (Pflichtfeld Justizbehörde) der richtige Datensatz eingetragen ist:

Steuerberater nutzen das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt).

Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts sind ebenfalls ab dem 1.8.2024 verpflichtet, elektronisch einzureichen, z.B. über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo).

Speziell aufgeführt werden Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer des Rechts. Für diese gilt bis zum 31.12.2025 die Freiwilligkeit wie für Bürger, ab dem 1. Januar 2026 müssen diese dann auch elektronisch einreichen.

Für die Einreichung der Dokumente gilt die ERVV. Diese müssen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg (beA) versendet werden.

Grundsätzlich positive Tendenz für die Nutzer des ERV

Das Bundesverfassungsgericht selbst hat sich bereits inhaltlich mit dem ERV befasst und am 16.2.2023 (1 VvR 1881/21) beschlossen, dass ein Beschluss des Amtsgerichts Tostedt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes verletzt. In diesem Verfahren wurde ein über 90 Zeichen langer Dateinamen verwendet, der vom Justizsystem nicht verarbeitet werden konnte.

Hinweis: Zwischenzeitlich lässt beA das Hochladen von überlangen Dateinamen nicht mehr zu.

In einer weiteren Entscheidung vom 10.5.2023 (2 BvR 370/22) verletzte ein Urteil des Amtsgerichts Mülheim an der Ruhr die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz. Kurz vor Weihnachten, am 20.12.2021, beantragte der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin Fristverlängerung und versandte diesen Antrag um 17.54 Uhr per beA. Am 21.12.2021 wies das AG die Klage ab (laut handschriftlichem Vermerk lag der Schriftsatz dem Richter zum Zeitpunkt der Abfassung des Urteils nicht vor). Das Gericht vertrat die Auffassung, der Prozeßbevollmächtigte hätte sein Fristverlängerungsgesuch früher stellen müssen. Er habe nicht erwarten können, dass nach Ablauf der üblichen Dienstzeiten noch über sein Gesuch entschieden werde und er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass dem Antrag stattgegeben werden würde. Bei Abfassung des Urteils habe der Antrag noch nicht einmal der Geschäftsstelle vorgelegen. Das BVerfG bestätigt die bisherige Rechtsprechung, wonach des für den Eingang eines Schreibens bei Gericht nicht erforderlich ist, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet wird oder dass es der Geschäftsstelle übergeben wird, sondern allein, dass es in den Machtbereich des Gerichts gelangt. Das Gericht hätte noch über den Antrag befinden müssen; Verzögerungen bei der Weiterleitung des Antrags innerhalb des Gerichts können nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin gehen.

Das Amtsgericht konnte auch nicht verlangen, dass der Prozeßbevollmächtigte seinen Fristverlängerungsantrag zu einem früheren Zeitpunkt hätte stellen müssen. Fristen dürften einem gesicherten prozessrechtlichen Grundsatz zufolge, der seine Stütze im Verfassungsrecht finde, vollständig ausgeschöpft werden. Lediglich bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax sei zu beachten, dass mit der Übermittlung so rechtzeitig begonnen wird, dass in der Regel mit einem rechtzeitigen Abschluss des Sendungsvorgangs gericht werden kann.

Achtung: Die Rechtsprechung zum Fax wird auch auf das beA übertragen. So hat das BVerwG am 25.9.2023 (1 C 10/23) entschieden, dass auch im ERV damit gerechnet werden muss, dass  eine reibungslose Übermittlung nicht immer möglich sei. Daher ist zeitliche Sicherheitsreserve bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze einzuplanen. 7 Minuten vor Fristablauf sind zu wenig (beim Fax wurde ein Sicherheitszuschlag von 20 Minuten für notwendig erachtet). Ob beim ERV stets eine vergleichbare zeitliche Reserve zu fordern sei, könne dahinstehen, denn jedenfalls sei die hier gewählte Zeitspann von unter sieben Minuten für die Übermittlung über das beA zu knapp bemessen.

Fazit: Gut, dass das BVerfG jetzt auch am ERV teilnimmt. Für Anwälte ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung.